Der Hai und Gisela

1964 – digitalisiert Wolfgang Dietz

Wilde Tiere leben im paradiesischen Urzustand

„Nie Angst?“ Diese Frage hör­ten wir oft. Wir näherten uns| Riesenfischen, streichelten sie, wir drangen mit jedem Meter in un­bekannte Tiefen und Gefahren ein. Aber die Angst wich der Gewohn­heit. Vorsichtig sind wir immer noch wie am ersten Tag. Im Meer durfte nur der tauchen, für den auf der Oberfläche ein Beobach­tungsmann aufpaßte. An den auf­steigenden Luftblasen aus den Atemgeräten konnte immer genau der Standort des Tauchenden er­kannt werden.

Der Hai und Gisela

Luftblasen aus den Atemgeräten sind für die „Sicherungsmänner“ an der Oberfläche stets beruhigende Zeichen. Bleiben sie aus, muß sofort gehandelt werden.

Einmal aber kam der große Schreck über Jupp, der Sicherungs­mann für Gisela war. Sie fotogra­fierte in 40 Meter Tiefe das Leben und Treiben der Fische. Jupp er­starrte zur „Salzwassersäule“, als die Luftblasen aus ihrem Atem­gerät plötzlich ausblieben. Was war Gisela unten in der totalen Einsamkeit geschehen? War sie ohnmächtig geworden? Hatte sie ein Hai, von denen es einige hier geben sollte, erwischt?

Wie eine Harpune schoß Jupp nach unten. Zum ersten Schreck kam der zweite: Gisela kniete unter einem vorspringenden Riff auf dem Lavaboden und fotogra­fierte mit ganzer Hingabe die um sie herum schwimmenden Fische, die nahe an sie herankamen, als wäre Gisela ihresgleichen. Sie be­wegte sich kaum, sie wollte die Fische nicht verscheuchen. Und die Luft aus ihrem Atemgerät verfing sich unter dem Riff, so daß sie nicht mehr an die Oberfläche des Wassers steigen konnte. Giselas Haarknoten diente als Puffer nach oben gegen das überhängende Riff. Aber hinter ihr — sie hatte es selber nicht bemerkt — schwamm ein riesiger Hairochen, ein Maul wie das eines Haifisches, mit eini­gen Reihen scharfer Zähne. Dieses unheimliche Tier schnupperte an Giselas Kniekehlen.

Was sollte Jupp tun? Konnte er sie bei Aufnahmen stören, die viel­leicht nie mehr in dieser Art ge­macht werden konnten? Fast be­wegungslos schwamm er hinter Gisela und zog sein Jagdmesser, bereit zuzustoßen, wenn dem un­heimlichen Hairochen der Appetit auf Gisela kommen sollte. Aber nach einigen bangen Minuten drehte das Ungeheuer ab. Es schien Gisela als Freund der Fische zu akzeptieren.

Hatte der Rochen einen „sechs­ten Fischsinn“? Gisela aß nie von einem Fisch, den sie schon einmal fotografiert hatte. Das wäre, so sagte sie, als müsse sie ein ge­liebtes Haustier töten und davon essen. Kurz danach hatten Jupp und Gisela ein besonderes Erleb­nis mit einem jungen Tintenfisch, der sich als Freund der Menschen und ihrer Zivilisation zeigte.

Der Hai und Gisela

Viel Spass Wolfgang