Zapfenstreich für einen gefährlichen Jagdgegner
Das Zweizentnerweib von Stachelrochen mit zwei Giftstacheln am langen Schwanz lag an einem Riff in 20 Meter Tiefe. Wir entdeckten dieses Urtier, als wir zu fünft von einer Taucherfahrt im Motorboot zurückkehrten. Horst tauchte mit seiner schwersten Harpune: Federdruckkraft 90 Kilogramm! Das Tollste, was wir einem Riesenfisch zu bieten hatten. Er schoß zweimal, aber zweimal auch prallte die Harpune vom Tier ab; es hatte sich in Abwehr stark aufgebläht und die Haut angespannt.
Zuerst war der Kampf gegen den Giftrochen noch sehr einseitig, aber jeder wußte, daß das Tier sein „letztes Wort“ noch nicht gesprochen hatte. Ein von Rolf geschossener Pfeil drang ein. Als wir die mit dem Pfeil verbundene Leine anziehen wollten, löste sie sich, und unser Rochen schwamm mit dem Pfeil im Fleisch davon. Zu dritt folgten wir ihm im trüben Wasser, bis wir ihn an einem Riff wieder- . fanden. Sein langer Schwanz mit den Giftstacheln bewegte sich unruhig, der ganze Fisch zitterte.
Zwei von uns waren mit dem Boot ans Ufer gefahren, um schweres Fanggerät zu holen. Sie kamen nach unendlich scheinenden Minuten wieder und brachten außer Harpunen eine 30 Meter lange Nylonschnur, an deren Ende ein dicker Ball befestigt war, mit. Große Fische vermochten wohl einen Menschen in die Tiefe zu ziehen, aber niemals einen so großen luftgefüllten Ball, der uns an der Oberfläche anzeigen sollte, wo sich der getroffene Fisch gerade befand.
Ein kleiner Pfeil, hinter dem eine gewaltige Druckkraft saß, traf. Unser Rochen zog sich langsam in einen Spalt zurück, Horst und Jupp hinter sich herziehend. Und da klemmte ihn der in der Haut sitzende Pfeil ein. In dieser Stellung nahm er die drei schweren Harpunen entgegen, die genau gezielt waren: eine rechts, eine links, die andere in den Vorderkörper. Wir schwammen danach mit den daran befestigten Leinen auseinander, möglichst weit weg von dem stark um sich schlagenden Rochen. Der Rochen schwebte sozusagen zwischen uns und wurde damit so gut wie wehrlos. Zentimeter um Zentimeter zogen wir ihn zum Ufer hin; drei Stunden brauchten wir dafür.
Am Ufer bäumte sich der Rochen auf und schlug mit unglaublicher Kraft mit seinem stachelbewehrten Schwanz um sich. Wir hielten das Tier kurz an den Leinen, waren aber in jeder Sekunde auf der Hut vor den Stacheln, die, wenn sie einen von uns getroffen hätten, unweigerlich zum Tod geführt hätten. Für solche Fälle hatten wir keine Medikamente.
Unser Rochen starb am Ufer. Er saugte nach langen Minuten einmal ganz tief Luft ein. Dann hörten wir etwas, was wir heute noch zu hören vermeinen und nie zuvor von einem Fisch gehört hatten: der Fisch hatte eine Stimme! Er war nicht stumm! Er stöhnte wie ein Mensch in Todesnot!
Das traf uns alle tief. Wir mochten nicht vom Fleisch dieses Rochens essen, so hatte uns dieser „menschliche Laut“ getroffen. Als wir den Rochen den Eingeborenen schenken wollten, stellte sich heraus, daß auf Lanzarote keiner den Stachelrochen essen mochte, er war ihnen zu fett.
Wir gaben ihm mit allen Ehren ein Seemannsgrab zwei Kilometer weit draußen im offenen Atlantik. Wir hatten kein allzu gutes Gewissen, und wir brachten es nicht über uns, unseren starken, gefährlichen Gegner einfach über Bord zu werfen. Jürgen ehrte ihn mit seiner Trompete mit dem Großen Zapfenstreich über das Meer. Die Trompete klang traurig wie nie zuvor.
Die Fortsetzung heißt:
Große fressen Kleine
Bis zur nächsten Geschichte Wolfgang