Der Hahn von Arrecife

1964 – digitalisiert von Wolfgang Dietz

Seewind legt auch die Stärksten mit der Zeit um

Der unserem Zeltplatz nächst ­gelegene Ort heißt Playa Blanca; ein paar verfallene Häuser. Näher lag Punta Papagayo, die „tote Stadt“, mit einem Wehrturm aus dem vorigen Jahrhundert. Wir schleppten Lavabrocken zu vielen Zentnern, um unser Zelt im star­ken Wind zu verankern. Der Bran­dung wegen mußten wir unser Boot einige hundert Meter weit entfernt vom Ufer festlegen.

Der Hahn von Arrecife

Unsere Bucht zwischen Playa Blanca und Punta Papagayo. Im Hintergrund ein 200 Jahre alter spanischer Wachturm.

Kaum hatten wir einen unserer Wagen als Küche eingerichtet, wo „Boß“ Horst für drei Monate Küchenmeister spielen soll, hatte Rolf schon unheimliches Jagdglück. Er war mit der Harpune auf dem Grund des Meeres spazieren ge­schwommen, als ihm ein 20 pfündiger Cernia, ein Zackenbarsch, über den Weg kam. Wir hatten nach dem ewigen Tee, Brot Marmelade und Büchsenwurst Hunger auf etwas anderes; der Fisch schmorte bald über unserer Propangas­flasche und schmeckte ausgezeich­net.

Als wir noch ein Wasserloch fan­den, war unsere Seligkeit auf der paradiesischen Insel vollendet. Wasser war rar. Die Insulaner stell­ten gerade eine „Fabrik für Trink­wasser“ fertig, die täglich vier Millionen Kubikmeter aus Meer­wasser produzieren soll. Trink­wasser war rationiert; auch wir gaben kein schlechtes Beispiel — wir wuschen und spülten aus­schließlich in Salzwasser, und da­für rächten sich unsere Nieten­hosen mit Löchern und mit dem weißesten Blau ihres Lebens.

Es regnete selten hier, nur minu­tenlang. Wir wunderten uns, wo­her die Gewächse ihre Feuchtig­keit hernehmen. Man zeigte uns: Lavagrus aus den rund 300 Vulkan­kegeln ringsum war dünn auf den Feldern aufgetragen, und diese Schicht nahm Regen und Luft­feuchtigkeit auf und gab sie, so­zusagen rationalisiert, an die Pflan­zen weiter. Andere Pflanzen, die seit Anbeginn der Schöpfung ge­wöhnlich aufrecht stehen, hatten sich im ewigen Seewind akklimati­siert und legten sich von selbst von Geburt an in die Furchen, die die Ackerbauer in die Felder gra­ben.

Bei unserem ersten Ausflug in das Innere der Insel half uns ein Mann, den wir nie vergessen wer­den: Pollo de Arrecife, zu Deutsch „Der Hahn von Arrecife“. Er ist heute noch der stärkste Mann der Kanarischen Inseln, Befehlshaber der Inselpolizei; seinen Ehren­namen verdankt er seinem Sieg im „Rösli“, einer Art von Judosport, er ist „Champion von Kanarien“ und schlug alle seine Gegner. Er liebte uns offenbar sehr, so daß seine Frau eifersüchtig wurde. Wir hörten von andern Leuten, daß sie ihn oft böse fragte: „Warst du wieder bei diesen Deutschen?“

Der Hahn von Arrecife

Der stärkste Mann der Kanarischen Inseln, Pollo de Arrecife (zweiter von links), zeigte uns die Höhlen der Ureinwohner von Lanzarote; er wurde unser guter Freund.

Er zeigte uns die Höhlen der Ureinwohner von Lanzarote, der Guanchen. Es sollen Berberiden gewesen sein, längst ausgestorben, in Krieg, in Sklaverei verschleppt oder in Lavaströmen begraben. In diesen Höhlen, kilometerlang im Erdinnern verschlungen, hatten sich die Männer und Frauen ver­steckt, wenn die Sklavenhändler vom afrikanischen Festland, über 110 Kilometer weit entfernt, auf­tauchten oder wenn die Vulkane auszubrechen drohten. In diesen Höhlen fanden wir noch Tonscherben, verziert mit vorgeschichtlichen Band- oder Schnurverzierungen.