Porzer Aquanauten helfen Wissenschaft – 60 Jahre TSG

August 1969

Zehn Tage auf dem Meeresboden bei Helgoland

Der Porzer Mondboden heißt Nordsee-Meeresgrund. Was für das Amerika Astronaut Armstrong ist, ist für das kleine Porz der Aquanaut Horst Platt von der Porzer Tauchsportgemeinschaft. Armstrong betrat mit der ersten Landungsexpedition den Mond, Horst Platt mit der ersten Unterwasserexpedition der Bundesrepublik für wissenschaftliche Zwecke den Meeresboden bei Helgoland in etwa 23 Metern Tiefe und bleibt dort mit den Wissenschaftlern ganze zehn Tage. Er hat sich uneigennützig in den Dienst der Wissenschaft gestellt, mit ihm vier weitere Mitglieder der Tauchsportgemeinschaft Porz, aber Horst Platt ist der einzige, der zehn Tage lang auf Sonne und Wind verzichtet und dafür die sehr gefährlichen „Gezeiten“ vor Helgoland in Kauf nimmt.

Porzer Aquanauten helfen Wissenschaft - 60 Jahre TSG
Die Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern und wissenschaftlichem Arbeitsmaterial der Meeresbodenkapsel (rechts) durch das Schlauchboot ist in vollem Gang. Horst Platt auf der Brücke der Kapsel (die schon tief im Meer steckt) nimmt von den Tauchleuten auf dem Schlauchboot einen Kanister Wasser (ohne Alkohol) entgegen. Bilder: Gisela Odenwald

Die Porzer Tauchsportgemeinschaft war der Einladung an alle Tauchsportler der Bundesrepublik durch die DVL (Bad Godesberg) und der Lübecker Firma Dräger, (die die Meeresbodenkapsel baute), gefolgt; von anderen Tauchsportlern waren kaum Meldungen gekommen. Nicht nur deshalb wurde das Lob des Expeditionsleiters ausgesprochen: „Ohne die Porzer Tauchsportgemeinschaft wäre das ganze Unternehmen in Frage gestellt!“, sondern auch deshalb weil die Porzer Taucher über eine außerordentlich große Erfahrung in der Bewältigung ihres Hobbys haben.

Wie bei Mondbodenproben

Mit Horst Platt sitzen augenblicklich sieben weitere Aquanauten, Wissenschaftler, in dem „einen Boot“ auf dem Meeresgrund, der Kapsel, die gleich einem Haus auf dem Meeresboden mit ihren 18 Tonnen Gewicht festhaftet. Die Kapsel ist mit Instrumenten und Geräten gefüllt. Die Wissenschaftler haben den Auftrag, das in der Regel wildbewegte Wasser rings um Helgoland auf alle nur möglichen Verhältnisse zu untersuchen, Proben – ähnlich wie Armstrong auf dem Mond – zu sammeln und an die Oberfläche zu bringen, zu messen, zu wiegen, zu beobachten.

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Der Lebensretter, wenn die Not am größten ist. Er steht in Übermannshöhe mit seinen Kollegen an Bord eines der Schiffe der Rettungsflotte bei Helgoland und hat in Notfällen sofort die „Unterwasserleute“ aufzunehmen, um den Druckausgleich herbeizuführen. Ohne ihn wären im Unglücksfall die Aquanauten in spätestens zehn Minuten tot.

Gisela am Draht

Allerdings sind große Sicherheitsvorkehrungen getroffen worden. So ist jedes Instrument des umfangreichen Alarmsystems doppelt – wie auch in der Astronautenkapsel – vorhanden. Zum Alarmsystem gehört eine Fernseh- und eine Telefonverbindung von „oben“ zur Meeresbodenkapsel. Gisela Odenwald, die als sehr geübte Porzer Taucherin schon nach kurzer Zeit den Versuch als Taucherin zu helfen, wegen der unberechenbaren und starken Meeresströmung vor Helgoland aufgab, übernahm für Tage und Nächte die Beobachtung der Aquanauten am Telefon.

Freilich wäre es bedeutend einfacher, wenn die Kapsel direkt mit einem der Schiffe aus der bereit liegenden Rettungsflotte verbunden wäre. Das war eben der Strömungen und Gezeiten wegen nicht möglich. Deshalb wurde zum ersten Mal in der Welt überhaupt zur Versorgung mit allem Lebensnotwendigen der acht Männer auf dem Meeresboden eine Versorgungstonne eingesetzt, die über der Kapsel an der Oberfläche schwimmt und unbemannt ist; sie wurde humorvoll von der Unterwasserkapselbesatzung nach dem technischen Leiter der Expedition, Fust, das „Füstchen“ getauft. Alle zwei Stunden haben die Aquanauten die an den Instrumenten abzulesenden Werte telefonisch nach oben durchzugeben. Wenn spätestens nach fünf Minuten kein Lebenszeichen nach oben dringt, greift die Rettungsflotte sofort ein. Für die Strenge der Sicherheitsvorkehrungen ist u.a. die Tatsache zu bewerten, daß kein Spiel, kein Alkohol mit in das „Haus im See“ genommen werden durfte, damit bei der Besatzung auch jeder kleinste Grund zur eventuellen Streitigkeit von vorneherein ausgeräumt ist. Die drei weiteren Porzer Taucher, die mit Horst Platt und Gisela Odenwald gern „dabei gewesen wären“ sind Rudolf Zerbes, Jürgen Klenk und Wolfgang Hoppe; sie nahmen sehr stark an der Versorgung des Unterwasserhauses teil.

Horst Platt“ spaziert augenblicklich – wie Armstrong und Aldrin auf dem Mondboden – auf dem Meeresboden. Vorerst muß er sich den einen oder anderen Hummer von Helgoland an der Nase vorbeitreiben Lassen. Denn das Team hat nicht nur die Aufgabe, Wasser und Boden, Flora und Fauna im allgemeinen zu untersuchen, sondern auch im speziellen festzustellen, warum z.B. die Hummer um Helgoland so selten geworden sind und warum das Meer dann und wann leuchtet. Und da erweist es sich, daß Erde und Meere sich nicht sehr unterscheiden: Genau wie auf der Erde mit dem Leuchtkäfer treibt die Liebe die winzigen Lebewesen im Wasser zum Leuchten und Locken. Aber das genaueste darüber kann erst gesagt werden, wenn Horst Platt mit seinen sieben „Hausbewohnern am Meeresgrund“ wieder unter uns ist. Und wenn der Auftraggeber, die Biologische Anstalt auf Helgoland, die Foschungsergebnisse veröffentlicht. Horst Platt als geübter Taucher hilft Ihnen. Er wird der „Aquanautenkapsel-insasse mit den meisten Ausstiegen aus der stets nach unten hin offenen Ausstiegsluke sein; denn er holt in seinem Tauchanzug die benötigten Proben aus weitem Umkreis in die Kapsel. Er hat alle paar Stunden die Kapsel auf ihre Sicherheit hin zu untersuchen. Er hat auch den hohen Luftdruck in der Kapsel ständig zu überprüfen, damit nicht der Wasserdruck von außen einmal größer als der Luftdruck von innen wird und damit sich die Kapsel mit Wasser füllt.

Eilige Lebensrettung

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„Nabelschnüre“ des Lebens verbinden diese Tonne an der Meeresoberfläche („Füstchen“ genannt) mit dem „Haus auf dem Meeresgrund“, in dem Horst Platt mit sieben Wissenschaftlern zehn Tage lebt.

Das Leben der insgesamt acht Aquanauten auf dem Meeresboden hängt an gerade nicht seidenen Fäden, aber an dünnen Schläuchen und Drähten. Würde irgend eine Notlage durch irgendwelche Umstände hervorgerufen, hätten die Aquanauten gerade noch sieben bis zehn Minuten Zeit, ihr Leben zu retten, wenn sie an die Oberfläche des Meeres geschleudert oder getrieben würden. Denn in dieser Zeit müßten sie die an Bord eines Rettungsschiffes bereit stehenden Überdruckkammern bereits aufgesucht haben, damit der Körper an den in der Kammer angepasst werden kann. Das erste Team, das „hinunter ging“, brauchte allein in der Kammer die letzten 15 Stunden vor einem Aufstieg, um sich in der Kammer selbst auf die veränderten Druckverhältnisse auf der Oberfläche anzupassen.